Am kommenden Montag wird in Berlin eine Frau vor die Presse treten und einen Aufbruch in eine neue Ära verkünden, deren Welt vor genau 12.400 Tagen, dem Tag des Mauerfalls, zusammengebrochen ist: Sahra Wagenknecht.
Am 9. November 1989 verlor die damals 20-jährige Wagenknecht nicht nur ihre geistige Heimat, sondern auch den Traum von einem stramm-marxistischen Glücksland im deutschen Osten. Ihr Traum platzte, als sie vom kapitalistischen Deutschland verschluckt wurde. Doch verdaut hat diese Beton-Sozialistin das nicht – sie ist resistent und renitent.
Nun hat sie einen Machtplan. Wagenknecht möchte die deutsche Linke neu ordnen, in echte, wahre Linke und Sozialisten/Kommunisten auf der “richtigen” Seite. Alles “Woke” und Links-Grüne sollen auf der anderen Seite der ideologischen Demarkationslinie stehen. Wagenknecht spielt Aschenputtel: Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen…
Die 54-jährige Marxistin möchte sich am kommenden Montag zur Alternative für Deutschland erklären. Sie nennt es nicht eine Partei – das sind für sie die anderen, “die Etablierten”, “der Mainstream”. Sie gründet das “Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit”. Eine Bewegung soll es werden – etwas, dem man sich anschließen kann. Ein Modell, das die Deutschen bereits kennen.
An diesem Montag wird Wagenknecht in Berlin vor allem eines tun: Werbung machen. Sie stellt vor, was das Land schon zu kennen glaubt: SICH SELBST. Sie macht SICH zur Galionsfigur. Die Gründung wird wohl erst im Januar erfolgen. Bis dahin plant sie, die Unterstützung auszuloten, Geld und Anhänger zu sammeln. Sie will nicht schon wieder scheitern: 2019 blieb Deutschland sitzen, als sie mit der Bewegung “Aufstehen” antrat. Ihre Revolution scheiterte.
Der Historiker Andreas Rödder (Uni Mainz) kommentiert gegenüber BILD: „Wagenknecht will eine Flurbereinigung bei den Linken erreichen.“ Nicht nur in ihrer Alt-Partei, sondern im gesamten linken Spektrum. Sie möchte Grün-links-woke von der klassischen Linken trennen, die sich um das Soziale und die traditionelle Umverteilung kümmert. „Zu den klassischen Umverteilern gehört“, so Rödder, „Frau Wagenknecht.“
Wagenknechts Ziel ist klar: “Eine linke AfD”. Beide Randparteien, die Rechts-außen- und Wagenknechts Links-außen-Truppe, seien “national-sozial”. Die AfD betone eher das Nationale, während Wagenknecht das Soziale in den Vordergrund stelle. Rechts Weidel, links Wagenknecht…
Die Zeit für Wagenknechts Parteigründung ist günstig. Die Ampel-Wahlperiode ist halb rum, die Regierung ist in der Bevölkerung unbeliebt. Nächstes Jahr ist ein Test-Wahljahr: Zuerst sind im Frühjahr Kommunalwahlen in einigen Bundesländern. Es folgt die Europawahl. Und wichtiger: Im Herbst sind Landtagswahlen im ganz-rechts- und ganz-links-affinen Osten: in Thüringen, Sachsen und Brandenburg.
27 Prozent der Deutschen können sich vorstellen, eine Wagenknecht-Partei zu wählen, wie eine exklusive Umfrage für BILD (INSA) zeigt. Moskau geht sogar davon aus, dass AfD und Wagenknecht zusammen ein Wählerpotenzial von mehr als 30 Prozent haben. Die Hoffnung im Kreml ruht auf Wagenknecht als Oppositionsführerin in Deutschland.
Aber selbst in Moskau ist man besorgt: Wagenknecht braucht dringend Hilfe, nicht nur finanziell (für Büros, Parteizentrale, Mitarbeiter, Werbung), sondern auch organisatorisch. Die Sorge ist nicht unbegründet, da die Frau, die die Fleißigen im Land erreichen will, regelmäßig ihre Pflichten vernachlässigt. Wagenknecht gilt als “faulste Abgeordnete” des Bundestages, hat allein 2020 an mehr als 30 Sitzungstagen und bei mindestens neun namentlichen Abstimmungen gefehlt.